2008.09.24 - Eger nach Gyöngyös
- Tagesstrecke: 69 Km
Bevor es losgehen kann, steht das verflixte Pino schon wieder kopfüber. Die Bremsen werden inspiziert. Und hoppla, die Bremsbeläge haben sich in Rauch und Staub aufgelöst. Es fehlen nur noch ein paar wenige 10-tel Millimeter, bis die Scheibe auf Metall getroffen wäre. Immerhin haben die Beläge nun knapp 5'000 Km weit gehalten, aber jetzt ist definitiv Auswechseln angesagt.
Die Unterkunft hinter uns gelassen, ist nach 100 m Fahrt schon der nächste Zwischenhalt angesagt. Wir wollen auf das 35 m hohe Minarett, das in Mitten von barocken Bauten eigenartig, ja, etwas deplatziert wirkt. Das Bauwerk ist auf die 91 Jahre andauernde osmanische Herrschaft zurück zu führen. Die ersten Türkenkriege 1552 scheiterten am Widerstand in Eger, jedoch hielt die Stadt der zweiten Welle 1596 nicht mehr stand und fiel dem osmanischen Reich zu.
Unten bezahlen wir 200.- Ft (± 0.8.- €), dann wird das Licht in der engen Wendeltreppe angeschaltet. Je weiter wir hochsteigen, desto enger wird es. Die Schultern streifen beidseits der Treppe an der Wand. Endlich erblicken wir Licht, der Ausgang naht. Doch die klaustrophobischen Ansätze weichen abrupt dem Höhenkoller, der einem die weite Sicht und frische Brise beinahe vermiest. Der Balkon um den Turm herum ist mit ca. 0.5 m verdammt schmal, sodass wir uns am Eisengeländer klammernd zureden, dass diese Konstruktion nun doch schon einige hundert Jahre überdauert hatte. Hat sich der Puls etwas beruhigt, ist das Panorama doch sehr eindrücklich.
Auf dem Weg aus Eger hinaus, irren wir etwas durch die Vororte und landen in den Rebbergen, wo ein hilfsbereiter Winzer uns auf die richtige Fährte bringt. Inzwischen zeigt sich tatsächlich immer wieder mal die Sonne und heizt ganz schön ein. Aber nicht nur uns, auch die Heuschrecken, die während über einer Woche verstummt waren, singen nun da und dort am Strassenrand. Die Strecke Richtung Westen führt über leichte Anhöhen durch eine wunderschöne Kulturlandschaft. Alle paar Meter gäbe es einen Grund abzusteigen.
Auf den Strecken bergauf sind wir mit dem Tandem den beiden Einzelkämpfern deutlich unterlegen und fallen jedes Mal zurück. Hingegen sind wir bei den Talfahrten mit der grösseren Masse überlegen und rauschen wieder an den beiden vorbei. Das Spiel wiederholt sich von Hügel zu Hügel, so dass wir insgesamt doch ähnlich schnell vorwärts kommen. Vor Gyöngyös treffen wir auf die alt bekannten ungarischen Radlerprobleme. Die Einfahrt in die Stadt ist unter anderem für Radfahrer auf den normalen Strasse untersagt. Alternative Möglichkeiten sind zumindest für ortsunkundige nicht in Sicht. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als die Schilder ungeachtet rechts stehen zu lassen und weiter zu fahren. Auf der Touristeninformation erhalten wir die Auskunft, dass es in Gyöngyös keine günstigen Unterkünfte gibt und die nächsten in etwa 10 Km Entfernung liegen.
Stefan, der immer noch mit den 'Nachwehen' seiner Stirnhöhlenentzündung zu kämpfen hat, lässt sich auf der Strecke nach Gyöngyöspata von Römu schieben, der von der heutigen Tagestour erst warm gefahren ist und wie von der 'Tarantella' gestochen mal vorne weg fährt, wieder zurück kommt, um Stefan den nächsten Hügel hinauf zu schieben und dann wieder davon zieht, als gäbe es kein Morgen. In Gyöngyöspata angekommen, entdecken wir das empfohlene Hotel sogleich. Der äussere Eindruck lässt uns aber erst mal abwarten, es scheint doch leicht über unseren Ansprüchen zu liegen. Stefan hat irgendein Nandi Vendégház im Kopf und bläst zur Suche. Wie die führungslosen Schafe irren wir durch das Dorf, den Hügel steil hinauf und hinab, doch von der Unterkunft ist keine Spur auszumachen. Bis wir auf dem Campingplatz landen, der jedoch schon geschlossen ist und keine feste Übernachtungsmöglichkeiten anzubieten hat. Die freundliche Besitzerin weiss allerdings vom Nandi Vendégház und beschreibt uns den Weg.
Tatsächlich, ein kleines Schildchen befindet sich an einer Mauer, die wir bestimmt ein paar Mal passiert haben. Eine sehr freundlich Frau mittleren Alters macht die einwandfrei funktionierende Türe zum Grundstück auf und empfängt uns in bestem Deutsch. Kaum haben wir die Zimmer im Dachgeschoss des geräumigen Hauses bezogen, offeriert sie uns ungarischen Gulasch und Apfelstrudel zum Abendessen. Dankbar nehmen wir an. Schon steht der nächste Programmpunkt an - sie möchte uns zur Weindegustation einladen. Na, da sagen wir sicherlich nicht nein! In der Einfahrt des Hauses, das leicht in den Hügel hinein gebaut ist, warten wir auf die Chefin. Stolz kommt sie mit einem riesigen, museal wirkenden Schlüssel die Treppen hinunter und öffnet damit die massive Holztür zum Keller. Als das Licht angeht, stehen wir ungläubig vor einem langen, uralten Weinkeller. Neugierig steigen wir hinab und spähen das Gewölbe aus. Bei der anschliessenden Degustation erklärt sie uns, dass der älteste Gewölbebogen aus dem 14. Jahrhundert stammt und auch der restliche Keller ein stattliches Alter aufweist, jedoch da und dort restauriert wurde. Im hinteren Teil, der noch auf etwa 20 m einsehbar ist, hat die alte Gesteinsdecke nachgegeben und den Keller zur Hälfte mit Schutt zugeschüttet. Die Renovation des eingebrochenen Teils sei ein langfristiger Traum, den sie sich eines Tages verwirklichen wolle. Bei Wein und Baumnüssen erzählt sie uns einiges über die Winzertradition der Region uns ihrer Familie im Besonderen. Auch dass sie Bernáth Magdolna (Magdi) heisse und Dank des vulkanischen Tuffuntergrundes einen einmalig fruchtig-süsslichen Wein produzieren kann.
Glücklicherweise verfügt Magdi nicht über mehr als vier unterschiedliche Weinsorten. Nach der Tagesetappe bekommt der Alkohol besonders gut auf den leeren Magen.
Wohlig torkeln wir aus dem Ehrfurcht erregenden Keller hinaus. Nicht genug damit. Den Abend verbringen wir bei bestem ungarischem Gulasch und einer Flasche Weisswein aus dem hauseigenen Weingut. Die absolute Krönung sind schliesslich die Apfelstrudel aus der Hausküche. Heiter erschöpft und zufrieden fallen wir in die Kissen.
Zugehörige Artikel
-
2008.09.23 - Miskolc nach Eger
Der Tag beginnt vielversprechend, immerhin sind am Himmel da und dort ein paar blaue Flecken zu erkennen. Bereits während wir aus Miskolc hinaus die richtige Strasse suchen, scheint die Sonne. Zudem erhalten wir schon in aller Frühe von Stefan Schilli und Römu ein SMS, dass sie in Kürze mit dem Nachtzug in Budapest ankommen und wissen wollen, wo wir uns treffen.
-
2008.09.25 - Gyöngyös nach Vác
Stefan fühlt sich immer noch nicht wirklich besser. Der Regen und die Unterkunft machen die Entscheidung leicht; er möchte einen Tag ausruhen und sich ganz auf den wunderbaren Weinkeller konzentrieren. Wir müssen aber weiter, um rechtzeitig in Wien zu sein. Auch Römu muss seine Beine vertreten und fährt mit uns ein ganzes Stück mit.